Stockholm ist seit 1634 die Hauptstadt des Königsreiches
Schweden. Eine wahrhaft königliche Stadt, in der heute rund eine Millionen Einwohner
leben. Der erste Eindruck von Stockholm ist
gesammelte Ruhe in der Bewegung, kühles Feuer, in das man sich stürzen
möchte und doch nicht kann. Schon nach den ersten vierundzwanzig Stunden ist
man kein Fremder mehr, und gleichzeitig weiß man, dass man nie ein
Einheimischer sein wird. Stark und ruhig schlägt das Herz der Stadt, von den
Verkehrsadern droht kein Infarkt. Die Altstadtkais, an denen einst die
Geschichte der Metropolis begann, sind nur der Bypass für die Autoströme. In
den Gassen aber gurren Tauben, plätschern Brunnen, setzt Glockenspiel den
geruhsamen Takt der Zeit.
Schwedens Hauptstadt ist auf
14 Inseln gebaut. Deshalb wird Stockholm wohl auch als das Venedig des
Nordens bezeichnet. Eine schwimmende Stadt mit Brücken, Seen und vielen Kanälen.
Glitzernde Wasserflächen funkeln wegen der in diesen Breitengraden immer
niedrig stehenden Sonne. Stockholm
selbst ist auf Felsen gebaut, ab und zu hört man die Sprengschüsse, die
notwendig sind, um das Fundament neuer Häuser auszuschachten. Aber
ringsherum grünt und blüht es, wenige Kilometer vor der Stadt gibt es noch
riesige Wälder in denen die Elche umherstreifen und man keiner Menschenseele
begegnet. Da draußen vor der Stadt haben viele ihrer Bewohner ihr kleines
Sommerhäuschen mit Garten.
Die
Altstadt Gamla Stan bildet die Keimzelle von Stockholm. Hier gibt
es nur wenige Gebäude, die jünger als 200 Jahre sind. Die Kaufleute bauten hier
ihre schmalen, hohen Häuser an großzügigen Gassen. Auf kleinem Raum gibt es
viele Sehenswürdigkeiten, mehrere Museen und Straßen mit einer Vielzahl kleiner
Läden. Gamla Stan ist auch das Viertel der kleinen Läden, Kneipen und
Restaurants. Viele Souvenirläden locken die Touristen zum Kauf von Andenken. In
Gamla Stan ist der Fußgänger König.
Von Gamla Stan aus entwickelte sich
die Stadt zu einem wichtigen Handelsplatz an der Ostsee. Eine führende Rolle
spielten dabei deutsche Kaufleute und Schiffseigner. Die Hanse hatte großen
Einfluss auf die Politik im Rathaus. Aus mittelalterlicher Zeit ist in der
Altstadt fast nichts übrig geblieben. Die ältesten Häuser stammen aus dem
17. Jahrhundert, der Barockzeit, als Schweden zur Großmacht im Ostseeraum
aufstieg. Erhalten aber haben sich der mittelalterliche Straßenverlauf und
die engen Gassen, die Gamla stan nicht nur für Besucher so reizvoll
erscheinen lassen. Die Altstadt ist ein intaktes, lebendiges Viertel.
Innerhalb von Stockholm ist der
Verkehr im Gegensatz zu anderen europäischen Hauptstädten relativ gering. Nur die Straßenbahnen machen etwas Lärm, die Autos hupen hier
nur im äußersten Notfall. Man sieht nicht so viele Radfahrer wie in Kopenhagen,
es gibt hier ziemliche Steigungen und im Stadtkern sind die Straßen eng und
kurvig, dass das Radfahren zu einem Vergnügen Macht. Auf Norrmalm,
nördlich von Gamla Stann, liegt das
Stadtzentrum mit dem Hauptbahnhof (Centralstationen) und dem
Busbahnhof (Cityterminalen). Hier befinden sich die großen
Geschäftsstraßen Vasagatan, Drottninggatan, Hamngatan, Kungsgatan und der
Stureplan. Auf Kungsholmen befindet sich das Stadshus, ein großer, rotbrauner
Backsteinbau aus dem Jahr 1923. Von der Aussichtsplattform hat man einen
schönen Ausblick auf Stockholm. Auf der Halbinsel Blasieholmen gibt es eine
Brückenverbindung zur Insel Skeppsholmen und zur Anlegestelle der
Touristenboote. Auf der Museumsinsel Djurgården befinden sich das Nordische
Museum mit kulturhistorischen Ausstellungen, das Vasamuseum mit dem Regalschiff
Vasa aus dem Jahr 1628 und das
Freilichtmuseum Skansen mit rund 150 kulturgeschichtlichen Gebäuden aus ganz
Schweden. Auf der Insel Lidingö gibt es im Park Millesgården zahlreiche
Skulpturen des Bildhauers Carl Milles zu sehen.
Das mächtigste Gebäude von Gamla
stan ist das königliche Schloss.
Die Königsfamilie und ihr Stab haben hier ihre
Arbeitsräume. Bis Anfang der 80er Jahre wohnte die Königsfamilie sogar hier,
wie ihre Ahnen, die Mitte des 18. Jahrhunderts in das neu erbaute Schloss
einzogen. Mit 608 Zimmern war das Platzangebot mehr als standesgemäß. Neben dem
Prunkschlafzimmer des ehemaligen Königs Gustav III. (Schweden Theaterkönig)
befindet sich der prachtvollste Raum des Schlosses. In der Gallarie von Karl XI
finden heute Festbankette statt. Etwa 150 Menschen speisen an einer langen
Tafel, wenn das Königspaar Gäste empfängt. In der Gästewohnung schlafen die
offiziellen Staatsgäste der Königsfamilie. Auch Johannes Rau hat hier schon
genächtigt. Viele Gäste gestalten sich den Raum nach ihren Bedürfnissen ein
wenig um. An normalen Tagen kann das Schloss besichtigt werden. Bei
Staatsbesuchen und anderen offiziellen Anlässen ist es für die Öffentlichkeit
teilweise oder gar ganz geschlossen.
Umschlossen sind die vierzehn
Inseln, auf denen Gamla Stan steht, nach der einen Seite vom Meer, nach der andern
von Süßwasser. Vom offenen Wasser trennen Stockholm jedoch 24.000 Inseln -
die Schären. Zwei Gesichter hat sie so, das eine in die Welt hinaus gewandt,
das andere nach dem eigenen riesigen Hinterland gerichtet, in dem acht
Millionen Menschen auf einer Bodenfläche etwa von der Größe Deutschlands
wohnen. Das ergibt in allen Dingen weiten Raum und gesicherte Entfernung.
Nach zwei Seiten ist der ruhige Blick
Stockholms gerichtet — nach dem Osten und nach dem Westen. Der Osten ist
hier weniger das mächtige Russland, in dem die Schweden früher so gewaltige
Kriege geführt haben, sondern das gegenüberliegende Finnland. Die Finnen
sind ein sehr altes und doch wieder ganz junges Volk. Sie machten alle
Kinderkrankheiten einer erwachenden Nation durch. Dazu gehört auch eine
gewisse Distanzierung gegen die Schweden, die tausend Jahre lang das Land
der tausend Seen beherrscht haben und heute noch als frühere Oberschicht von
etwa einer halben Million Einwohnern im Lande sitzen. Ein schwedisches
Minderheitenproblem, vor allem in der Sprachenfrage, ist in den letzten
Jahren allmählich entstanden, es wird mit der größten Zurückhaltung und
Freundlichkeit behandelt, die jedoch durchaus nicht Entschiedenheit
vermissen lässt. Schweden selbst hat eine kleine finnische Minderheit hoch
im Norden, die seit langer Zeit sehr loyal und unter Achtung ihrer
besonderen Eigenheit behandelt wird.
Nach der andern Seite schaut Stockholm
nach England und Amerika hinüber. Wenn man von Rassenverwandtschaft sprechen
will, dann empfindet sie der Skandinavier in weit stärkerem Maße zu den
angelsächsischen Völkern als zu Deutschland. Gewiss, Stockholm ist
entstanden als eine deutsche Stadt, in engster Verbindung mit den
Hansastädten Bremen, Lübeck, Hamburg. Die Architektur der alten Stadtteile
ist die gleiche in den Grundzügen wie die Architektur des deutschen Nordens.
In den schmalen Gassen der Altstadt, dem Viertel ehemaliger deutscher
Kaufleute, zeugen noch heute neben der Tyska Kyrkan (Deutsche Kirche) auch
viele Straßennamen von der Blütezeit der Hanse.
Die Stockholmer selbst sind ein ausgesprochen gleichmäßiger Typ trotz aller individuellen Differenzierung,
und sie sind gar nicht traurig, dass durch eine starke Mischung mit
finnischem Blut — also gewissermaßen mongolischem Einschlag — und durch
einen nicht unerheblichen wallonischen Zuschuss eine Mischung des
Volkscharakters entstanden ist, die sich sehr fruchtbar zeigt.
Was Stockholm und der schwedischen
Bevölkerung das besondere Gepräge gibt, ist die Kontinuität der Entwicklung
über zwei Jahrhunderte hinweg. Man kann sich hier einen lebhaften Begriff
davon machen, wie Europa heute aussehen würde, wenn die unseligen Weltkriege
nicht gekommen wären. Von einer Verweichlichung und satten Verspießerung ist
gar keine Rede, aber eine Differenzierung, ist auf allen Gebieten
festzustellen. Die "Masse Mensch" existiert nicht, aber auch nicht die
Oberbetonung eines krankhaften Individualismus, die nach dem dadaistischen
Grundsatz "Jeder sein eigener Fußball” eine snobistische Gesinnung erzeugt.
In Stockholm ist
man darauf eingestellt, das Leben möglichst von seiner leichteren Seite zu
nehmen, viel Problematik und Theorie ist nicht beliebt. Und doch basiert das
gesamte Kulturleben auf einer sehr alten Tradition und gleichzeitig auf dem
Willen, alles Neue und Brauchbare aufzunehmen und zu verarbeiten. In gewissem
Sinne sind die Schweden die "Amerikaner des Nordens". Jede technische Neuerung
wird sofort unvoreingenommen geprüft.
Eine glückliche Stadt? Man könnte so
sagen, besonders jetzt, wo die Konjunktur die Nachwirkungen der Krise völlig
weggespült hat. Man hat allerdings auch in der Krise den Standard nicht
allzu stark senken müssen. Denn es waren genügend Reserven vorhanden, und
sie wurden großzügig eingesetzt. Man hatte keine Angst vor dem kommenden Tag
— »es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe", sagte man
mit der Bibel, die der "Verband reisender Kaufleute" hier im Hotelzimmer
aufgelegt hat. |