Als
Finno-ugrier wird eine Gruppe von Völkern bezeichnet, die ursprünglich, etwa im
3. Jahrtausend v. Chr. sprachlich eine Einheit gebildet und wahrscheinlich in
Russland am Mittellauf der Wolga gesessen haben. Durch Wanderungen löste sich
die Einheit auf. Zuerst trennten sich die Obugrier (Ostjaken, Wogulen,
Ungarn-Magyaren, sprich Madjaren), dann die permische Gruppe (Wotjaken, Syrjänen),
hierauf die Wolgafinnen (Tscheremissen, Mordwinen) und schließlich die
Ostseefinnen (Suomi-Finnen, Esten, Liven u. a., die um 1000 v. Chr. im
nördlichen Baltikum Fuß fassten. Die finnisch-ugrische Sprachengruppe schließt
sich mit der samojedischen zur uralischen zusammen, und auch einzelne religiöse
Grundzüge, wie z. B. der Schamanismus, können als uralisch angesprochen werden.
Wegen der späten Bekehrungszeit ist die Erforschung der finnisch-ugrischen
Mythologien ein ertragreiches Feld der Wissenschaft.
Bischof Agricola, der
Reformator Finnlands, gab in der Einleitung zu seiner finnischen Übersetzung des
Psalters (1551) in metrischer Form ein Verzeichnis finnischer Gottheiten. Später
haben dann H. G. Porthan, sein Schüler Christian Lencquist (1782) und dessen
Freund Christfrid Ganander (1789) auf Grund der alten Runen (Volksdichtungen)
die Mythologie wieder herzu stellen gesucht. Der Arzt E. Lönnroth vereinigte
1835 (vervollständigt 1849) eine Fülle derartiger Gesänge, die von ihm in
Karelien gesammelt worden waren, zu einem geordneten Ganzen in dem Nationalepos
Kalevala (Land des Kaleva, des Stammvaters der Helden). Es ist dies ein
poetisches Werk von 22795 Verszeilen, das auf dem Hintergrunde des Konflikts
zwischen Finnen und Lappen eine Fülle von Mythen und Heldensagen zu einer
lockeren Einheit verbindet. Die Haupthelden sind der weise, zauberkundige Sänger
Wäinämoinen, der Schmied Ilmarinen, der das Himmelsgewölbe und die Zaubermühle
Sampo verfertigte, der gewitzte Abenteurer Lemminkäinen usw. Da das Werk eine
Reihe von Bestandteilen enthält, die aus sehr verschiedenen Zeiten stammen, und
teilweise christliche Einflüsse verrät, kann es für die Erforschung der
finnischen Religion nur mit Vorsicht herangezogen werden. Die heutige Forschung
greift daher lieber auf die unredigierten Runentexte zurück, von denen über zwei
Millionen Liedvarianten gedruckt sind.
Unter den Göttern der Finnen,
die teilweise auch bei den Esten vorkommen, ist der Himmelsgott Ilmarinen später
durch den die Ernte fördernden Gewittergott Ukko (estnisch Aikene), der mit der
Göttin Rauni verheiratet ist, in den Hintergrund gedrängt worden. Es wurden
weiterhin eine Fülle von Naturgottheiten verehrt, so die des Windes, des Feuers,
des Wassers, des Waldes und zahlreiche Vegetations-, Haus- und Schutzgeister.
Ihnen wurden Tiere geopfert, ein Brauch, der sogar noch 1890 bei den
griechisch-orthodoxen Kareliern geübt wurde. Im Einzelnen lassen sich originale
und fremde Bestandteile in der finnischen Mythologie schwer scheiden. Die
kosmogonische Vorstellung von der brütenden Ente, aus deren ins Wasser rollenden
Eiern der Kosmos sich bildet, scheint unbeeinflusst von fremden Vorstellungen zu
sein.
Eine eigentliche ungarische
Mythologie lässt sich nicht mehr rekonstruieren, denn die Magyaren gingen sehr
früh eine Verbindung mit andersrassigen Völkern (Chasaren, Awaren, Turkvölkern,
Slawen) ein, so dass die ältesten Traditionen verschüttet sind. Die Magyaren
wanderten im 10. Jahrhundert n. Chr. in ihr heutiges Wohngebiet ein und wurden
bereits im 11. Jahrhundert unter Stephan dem Heiligen zum Christentum bekehrt.
Die ihnen ursprünglich nahe
stehenden Jugra-Völker (Ostjaken, Wogulen) verehrten einen Himmelsgott (Numitarem),
der allwaltend war, und eine ganze Geisterhierarchie, Haus und Privat-, Sippen-
und Gaugeister, Wasser-, Himmels- und Erdgeister, die auch der Bestrafung durch
den Menschen ausgesetzt sind und in primitivster Weise in Pfahlform dargestellt
wurden. Bäume und auch Speicher sind die heiligen Stätten. Weit entwickelt waren
Opferzeremonien, verschiedene Arten von Eidleistungen und das Zauberwesen mit
dem Zauberer und seinen Gehilfen. Der tote Mensch wurde sowohl als Hauch- wie
als Schattenseele vorgestellt.
Als
alt-finnisch-ugrisch gelten die Verehrung eines höchsten Himmelsgottes und von
Wassergottheiten, der Bärenkult, bestimmte Totenreichsvorstellungen und der
Schamanismus. Schamanistische Züge finden sich noch in der Wäinämöinen-Gestalt,
und bis in die Neuzeit spielt im lappischen Brauchtum (die Lappen sind ein
vermutlich fremdrassiges Volk, jedoch mit einer dem Ostseefinnischen nahe
stehenden Sprache) der Zauberer mit der Zaubertrommel eine große Rolle. Es wird
von manchen Forschern angenommen, dass über Lappland schamanistische
Vorstellungen auch auf die Odinsgestalt der altgermanischen Religion eingewirkt
haben.
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