In Süd- und Mittelschweden
sammeln die Bienen im Sommer den Honig auf Wiesen, Feldern und in Wäldern. Die
Sonne scheint hier im Norden fast den ganzen Tag, sodass die Blüten ein rundes
und würziges Aroma entfalten. Rund 10 Millionen Blütenbesuche sind erforderlich,
ehe die Bienen ein Kilogramm Honig in den Stock eingebracht haben.
Wenn sich alljährlich im August
die schwedische Heide in einen rosa-violetten Teppich verwandelt, haben die
Bienen Hochsaison. Der rötliche Schimmer der Heideblüte bedeutet nämlich Nektar
in unzähligen Kelchen. Allerdings ist die Suche nach Nektar mit erheblichen
Mühen verbunden. Ehe die Biene an die Süßigkeit herankommt, muss sie sich mit
Rüttelbewegungen in die engen Blüten hineinzwängen. Dabei bepudert sie ihren
ganzen Körper mit Blütenstaub und befruchtet so unweigerlich die nächste von ihr
besuchte Blüte. Der Nektar ist gleichsam nur die Lohnzahlung des Heidekrauts für
geleistete Bestäubungsarbeit.
Sehr fürstlich ist das Entgelt
freilich nicht. Für 90.000 Blütenbesuche gibt es gerade einen Fingerhut voll
Nektar. Eine Arbeitsbiene bringt in ihrem Leben, das im Frühjahr und Sommer vier
bis fünf Wochen währt und in dem sie etwa drei Wochen lang als Sammlerin tätig
ist, nur insgesamt ein Gramm Honig in die Waben ihres Stockes ein. Aber die
10.000 Nektarsammlerinnen eines Staates schaffen bei schönem Wetter während der
Heideblüte gut ein Kilogramm des Göttertrankes pro Tag. Dazu kommt noch der
Honigtau der Kiefer.
Etwa 35.000 ihrer Genossinnen
sind derweil mit anderen Arbeiten beschäftigt. Jede Biene ist im Laufe ihres
Lebens als Spezialistin in acht verschiedenen Berufen tätig.
Gleich nach dem Schlüpfen aus
der Wabenzelle betätigt sie sich als Raumpflegerin. Täglich müssen 1500 Kammern,
aus denen die Jungbienen geschlüpft sind, so akkurat gesäubert werden, dass die
Königin erneut Eier hineinlegen kann.
Tags darauf arbeitet die
Jungbiene als lebende Klima-Anlage. Ist es zu kühl, erzeugt sie durch Vibrieren
mit ihren Muskeln Wärme und ventiliert sie mit Flügelschlag zu den Brutkammern,
und zwar so gut dosiert, dass dort stets eine gleich bleibende Temperatur von 35
Grad aufrechterhalten wird. Ist es zu warm, sorgt sie durch aktives Verdunsten
von eingetragenem Wasser für Kühlung.
Wenige Tage später wachsen der
jungen Arbeiterin jene Drüsen, die den Königinnenfuttersaft, also das legendäre
Gelee royale, erzeugen. Es ist gleichsam die Muttermilch, die alle jungen Larven
in den ersten beiden Tagen ihres Lebens bekommen, die Königin jedoch ständig.
Diese Spezialnahrung allein ist dafür verantwortlich, dass aus einer weiblichen
Larve eine Königin wird und dass jenes Tier, das sie immer bekommt, nicht nur
fünf Wochen alt wird, sondern fünf Jahre.
Sobald die Jungbiene diesen
Zaubertrank herstellen kann, wird sie zur Amme, zum Kindermädchen oder zur Zofe
der Königin. Als solche stattet sie den Larven in den Waben jeden Tag nicht
weniger als 500 Fütterungs- und Fürsorgebesuche ab.
Um den zehnten Lebenstag
verkümmern die Futtersaftdrüsen. Stattdessen beginnen die Wachsdrüsen zu
arbeiten. Aus dem Kindermädchen wird eine Bauarbeiterin. Im dichten Getümmel des
Bautrupps schwitzt sie bei 35 Grad Wärme aus den Hautfalten der Unterseite des
Hinterleibes Wachsschüppchen aus. Andere Bauarbeiterinnen nehmen ihr das
Material ab und verarbeiten es zu Waben.
Woher die Arbeitskameradinnen im
finsteren Stock wissen, wie sie das Wachs formen müssen, damit sich der Bau
harmonisch ineinander fügt, war der Wissenschaft bislang unbekannt. Jetzt wurde
entdeckt, dass die Bienen bei der Arbeit elektrische Felder erzeugen. Mit einem
für uns Menschen unbegreiflichen elektrischen Sinn erfassen die Bauarbeiterinnen
den „Bauplan” und richten ihre Tätigkeit danach aus. Vier oder fünf Tage nach
der Phase der Wachsproduktion wird die Baumeisterin zur Honig-Kellermeisterin.
Sie nimmt heimkehrenden Sammlerinnen die Ernte ab und füllt sie in die Waben.
Oder sie spezialisiert sich als Pollen-Lagerhalterin und knetet die von den
Sammlerinnen abgestreiften Blütenstaub-Klümpchen als Eiweißnahrung in den
Wabenzellen fest. Wiederum ein paar Tage später betätigt sich dasselbe Tier als
Müllkutscherin und Leichenträgerin und befördert tote Bienen aus dem Stock
heraus. Die meisten der 1500 Bienen eines Stockes, die jeden Tag sterben, werden
allerdings während des Sammelfluges vom Tod ereilt.
Etwa vom 18. bis 20. Lebenstag
bezieht die Biene als Torwächterin Posten am Flugloch. Erst danach beginnt die
große Zeit als Sammlerin. Auch hier spezialisieren sich die Tiere wieder: Einige
bringen Honigtau oder Blütenstaub, andere Wasser oder auch Harz zum Abdichten
zugiger Ritzen im Stock.
Erfolgreich heimkehrende
Sammlerinnen teilen ihren Stockgenossinnen daheim den genauen Ort des lohnenden
Blütenfeldes mit. Als Sprache benutzen sie Tanzfiguren: Mit schwänzelndem
Hinterleib rennt die Biene an der senkrechten Wabenwand ein paar Schritte
geradeaus, macht rechtsum kehrt, läuft zum Ausgangspunkt zurück, durchläuft
wiederum die Messstrecke geradeaus, macht linksum kehrt und wiederholt das etwa
zwei Minuten lang. Liegt der anzupreisende Futterplatz in Richtung der Sonne, so
tanzt die Biene die Messstrecke genau von unten nach oben. Trippelt sie
senkrecht abwärts, müssen die Stockgenossinnen, die der Vortänzerin auf dem Fuße
folgen, mit der Sonne genau im Rücken fliegen, wenn sie zu einer neu
aufgefundenen Nektarquelle gelangen wollen.
Aber auch jeden beliebigen
Winkel rechts oder links zur Sonne kann die Biene in einem entsprechend schrägen
Winkel rechts oder links zur Senkrechten auf der Wabenwand vortanzen.
Die Entfernung zum Ziel wird
durch die Tanzgeschwindigkeit angegeben. Tanzt die Biene in 15 Sekunden elf
Figuren, ist die Futterquelle 100 Meter vom Stock entfernt. 6,4 Figuren lassen
auf 300 Meter schließen, 4,5 Figuren auf 1000 Meter und 2,2 Figuren auf 5000
Meter.
Wenn ringsum überall die Heide
blüht, erübrigt sich jedoch jeglicher Ratschlag in der Tanzsprache. Alle
Sammlerinnen schwärmen nach eigenem Gutdünken aus. Allerdings tritt nun ein
anderes Nachrichtenmittel in Aktion: eine Duftstoff-Sprache.
Da jede Biene jeden Tag über
2000 Heideblüten aussaugen muss, wäre es eine tödliche Energieverschwendung,
wenn sich die Tiere in bereits entleerte Blüten hineinzwängen und vergebens
abmühen würden. Deshalb kennzeichnet jede Sammlerin jede von ihr besuchte Blüte
mit einem Duftsignal, das soviel bedeutet wie: „Achtung! Diese Blüte hat keinen
Nektar mehr! Suche lieber andernorts weiter!”
So sind es Wunder über Wunder,
die sich vor uns in der elfenhaften Welt der Honigbienen auftun, wenn im
Hochsommer die schwedische Heide blüht.
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